Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    13.06.2005

    Interview zum Thema HipHop


    Haben Sie die Stellungnahme von Aggro Berlin gelesen?

    Ja.

    Was denken sie darüber?

    Zunächst will ich deutlich sagen, dass meine Forderungen nichts mit den aktuellen Neuwahlen zu haben. Diese Kritik von Aggro Berlin ist schon deshalb nicht angebracht, weil ich die erste Presseerklärung zu diesem Thema gegeben habe, als die Neuwahl noch gar nicht zur Debatte stand. Zudem sehe ich mich in meiner Funktion als Mitglied des Deutschen Bundestages in der Verantwortung, auf Jugendschutz und Menschenwürde zu achten, unabhängig davon, ob gerade Wahlkampf ist oder nicht.

    Zum Inhalt möchte ich sagen, dass ich mich freue, dass Aggro Berlin sich von den Vorwürfen distanziert. Das zeigt, dass die Verstöße auch von ihnen zumindest letztendlich unerwünscht oder ungewollt sind. Allerdings wundert mich, dass das Label seine Musiker und deren Texte sowie Videos nicht allzu gut zu kennen scheinen. Ansonsten würden Sie wohl kaum davon sprechen, dass in keinem ihrer Musikvideos zu „Gewalt gegen Frauen aufgerufen oder anderweitig Gewalt verherrlicht“ wird.

    Was soll ein Verbot diverser Rapvideos bewirken?

    Es geht hier nicht um ein Verbot von Musik. Es geht stattdessen um die Sensibilisierung von Sendern. Im Jugendschutz ist ganz klar geregelt, dass jugendgefährdende Inhalte beispielsweise erst ab einer bestimmten Zeit gesendet werden dürfen. Das steht explizit auch so in den Lizenzverträgen der Sender. Diese gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten ist etwas, dass sich eigentlich von selbst verstehen sollte. Bei Texten wie „Ich fick dich in die Urinblase“, Sidos „Arschficksong“ oder Titeln der Gruppe „Frauenarzt“ muss man eigentlich nicht lange überlegen, ob das für Kinder und Jugendliche geeignet ist oder nicht.

    Glauben Sie nicht, dass Sie durch das Verbot in erster Linie die Werbetrommel von Aggro Berlin angekurbelt haben? Wir hatten gestern einen neuen Besucherrekord (über 24.000) auf unserer Internetseite, nachdem wir das Statement von Aggro Berlin veröffentlicht hatten.

    Natürlich lenkt die Diskussion auch viel Aufmerksamkeit auf die Künstler oder Labels, die das betrifft. Doch das muss ja nichts schlechtes sein. Sido hat einmal gesagt er würde auch nicht wollen, dass sein kleiner Sohn seine frühen Stücke hört. Ich glaube die Debatte ist eine Möglichkeit für diejenigen, die es betrifft, zu zeigen, dass sie kontroverse, lebensnahe und auch aggressive HipHop-Musik machen können und trotzdem freie Meinungsäußerung mit dem Recht auf Menschenwürde und dem Schutz der Persönlichkeit miteinander vereinbaren können.

    Denken Sie nicht, dass Jugendliche mehr von ihrem direkten Umfeld, der Familie, dem Freundeskreis und dem Wohnort beeinflusst werden, als von Musikern bzw. Künstlern?

    Bei intakten Familien und einem sozialen Umfeld, in dem die Kinder und Jugendlichen gut aufgehoben sind, glaube ich das schon. Doch gerade bei denen, die wenige soziale Kontakte haben, sitzen Kinder und Jugendliche oft allein zu Hause, hören vielleicht 15-mal hintereinander Gewalt verherrlichende, frauenfeindliche und rechtsradikale Texte und gehen danach mit einem viel höheren Aggressionspotential auf die Straße. Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen wie die von Olaf Keßler, die genau das belegen.

    Wo hört ihrer Meinung nach die künstlerische Freiheit auf und wo beginnt die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft? Laut GG Art. 5 (1) hat jeder Mensch das Recht, "[...] seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. [...]. Eine Zensur findet nicht statt." Gilt es diese Grundrechte nicht zu schützen?

    Dieses Grundrecht gehört zu den wichtigsten Rechten, auf denen unsere Gesellschaft basiert. Der Tabubruch und die Darstellung von Extremen sind wichtige Stilmittel der Kunst, die ja auch innerhalb des Rechts auf freie Meinungsäußerung schon immer genutzt wurden und nach wie vor genutzt werden. Doch definiert unser Grundgesetz mit den allgemeinen Gesetzen und den Bestimmungen zum Jugendschutz und dem Recht der persönlichen Ehre wiederum Rechte, die damit in Einklang gebracht werden müssen. Dabei kann es nicht sein, dass einfach behauptet wird, die permanente Nutzung von Gewalt verherrlichenden, pornografischen oder rechtsradikalen Ausdrücken gehörten eben zum Alltag der Künstler und seien deshalb auch Bestandteil ihrer Songs. Begriffe wie „primitive Neger“, „schwule Zigeuner“ oder „Ostnigger“ sind menschenverachtend und rechtsradikal. Zusammen mit Videos, in denen Runentexte und leicht verfremdete Reichsadler die Szene bestimmen, muss den Sendern klar werden, dass hier eine Grenze überschritten wird, die unser Grundgesetz vorgibt.

    Inwieweit halten Sie die Jugendlichen für verführbar? Nehmen sie ihnen nicht das Recht auf eigene freie Meinungsbildung? Was wäre das schlimmste, was passieren könnte, wenn Jugendliche sich von den Rapvideos beeinflussen lassen?

    Die Grenzen, die durch das Recht auf Menschenwürde und den Schutz der Persönlichkeit gezogen werden sind lange nicht so weitgehend, als dass Jugendliche sich keine freie Meinung mehr bilden könnten. Was aber passieren kann, wenn Jugendliche ungeschützt mit gefährdenden Inhalten konfrontiert sind und keine kontroverse Auseinandersetzung damit stattfindet, haben wir in der Debatte um Gewaltcomputerspiele nach Erfurt ausführlich erlebt und diskutiert. Deshalb gibt es auch Altersbeschränkungen bei Videos und Computerspielen.

    Sind Sie wirklich der Meinung, dass "Fler" eine rechtsradikale Einstellung hat? Es ist wohl nahe liegender, dass er lediglich Tabus brechen will, um Platten zu verkaufen.

    Ein Tabu zu brechen nur um ein Tabu zu brechen finde ich ehrlich gesagt nicht besonders künstlerisch. Aber bitte, „Fler“ ist frei in dem Recht seine Meinung frei zu äußern, wenn er eben nicht gegen die Grundrechte oder gegen das Gesetz verstößt und die Sender seine Titel gemäß den Bestimmungen zum Jugendschutz spielen.

    Gibt es keine größeren Probleme hierzulande, als Rapvideos im deutschen Fernsehen?

    Die Politik muss sich um alle gesellschaftlichen Bereich kümmern – nicht nur um die, die im Vordergrund stehen.

    Eine amerikanische Gangster Rap Gruppe namens N.W.A hatte vor 20 Jahren genau das gleiche Problem. Ihnen wurde vorgeworfen Gewalt zu verherrlichen und Pornographie als festen Bestandteil in ihren Liedern zu haben. Daraufhin meinte die Band, dass sie lediglich das aufschreiben würden, was sie täglich im Ghetto sehen. Wenn man sich also an den Texten stört, solle man die Umwelt verändern, nicht aber gegen die Erzeugnisse des Ghettos lostreten. Heutzutage ist N.W.A eine der bekanntesten und meist verehrten Rapgruppen aus den USA.

    Ich habe nichts dagegen gesagt, dass Künstler alltägliche Erlebnisse in ihrer Musik verarbeiteten. Doch wenn man sich manche Texte von Bushido, Kalusha, King Orgasmus One oder Baß Sultan Hengzt anhört, dann wird schnell klar, dass es hier nicht mehr die Schilderung der alltäglichen Erlebnisse geht. Der Text „Ihr seid Fake, ich scheiß’ auf eure Baggypants, ich erschieß’ die Kelly-Fans und bange im Mercedes Benz“ ist da noch eines der harmloseren Beispiele.